Semesterticket ohne Smartphonezwang

| 26. Apr 2024 Minuten Lesezeit
✅ Antrag angenommen

Das Studierendenparlament möge beschließen

Der AStA der FU Berlin muss ein geeignetes Verfahren einführen, um die Nutzung des Semestertickets auch Studierenden ohne Smartphone zu ermöglichen.

Umsetzung

Drei Möglichkeiten der Umsetzung:

  1. Der AStA hat die umgehende Einführung einer geeigneten Chipkarte zu erwirken. Digital ist nicht gleichbedeutend mit Appzwang: Gemäß Tarifbestimmungen für das Deutschlandticket1 kann dieses auch als Chipkarte ausgestellt werden. Etwa die TU Darmstadt zeigt, dass dies möglich ist.2
  2. Der AStA setzt einen Fonds für Studierende ohne geeignetes Smartphone auf, aus welchem die Anschaffung geeigneter Endgeräte für von Armut betroffene Studierende finanziert wird. Möglich wäre etwa die Erhöhung des Semesterticketzuschusses um eine Anschaffungspauschale für ein Smartphone.
  3. Der AStA hat einen Fonds für Studierende einzurichten, welche aufgrund des Smartphonezwangs unverschuldet schwarzfahren und daher bei jeder Fahrt eine Nacherhebung riskieren müssen. Auf Antrag durch die Studierenden sollen aus diesem die Nacherhebungsgebühren erstattet werden.

Begründung

Die Einführung des Deutschlandtickets ist ein Fortschritt im Sinne der klimafreundlichen Mobilität von Studierenden. Leider ist die Nutzung des neuen Semestertickets nur mit einem hinreichend modernen, jederzeit aufgeladenen Mobiltelefon mit installierter Wallet-Software möglich. Dieser Smartphonezwang ist aus mehreren Gründen abzulehnen:

Erstens schafft der Smartphonezwang unnötige Unsicherheit bei der Nutzung des ÖPNV, wenn beispielsweise der Akku vor Fahrtende leer geht. Studis übernehmen mit dem Smartphonezwang die Haftung für schlecht programmierte Apps, defekte Steckdosen und Funklöcher auf der Strecke. Das ist eine deutliche Verschlechterung im Vergleich zur bisher problemlos akzeptierten Chipkarte. Denn ein Schwarzfahren kann trotz bezahltem Semesterticket nicht mehr ausgeschlossen werden – Studierende riskieren eine Fahrpreisnacherhebung, wenn ihr Fahrausweis kontrolliert wird.

Zweitens übersteigen die realen Kosten für das neue Deutschlandsemesterticket die bisherigen Kosten von 193,80€ erheblich. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 der Semesterticketsatzung ist ab einer Preissteigerung von 5% eine erneute Urabstimmung durchzuführen. Wird ein funktionierendes Smartphone für die Nutzung des Deutschlandsemestertickets vorausgesetzt, müssen für die realen Kosten des Semestertickets aber auch die Anschaffungskosten für ein Smartphone berücksichtigt werden, da nicht alle Menschen funktionierende und kompatible Geräte besitzen. Daher ist statt der behaupteten Preissenkung vielmehr von einer Preissteigerung von rund 13% auszugehen.3 Trotzdem wurde das Ticket ohne Beteiligung des Studierendenparlaments eingeführt, obwohl die Satzung bei einer solchen Preissteigerung sogar eine Urabstimmung vorschreibt.

Rund 38% der Studierenden war 2022 armutsgefährdet4 und lebt daher mutmaßlich dort, wo der Wohnraum vergleichsweise günstig ist und die Wege zur Uni weit sind. Dieser bereits marginalisierten Gruppe neue Kosten aufzuhalsen, bedeutet, diese Menschen potentiell vom Studium auszuschließen. Denn insbesondere armutsbetroffene Studis können sich bei einem Defekt nicht mal eben so ein Ersatzsmartphone leisten. Das hat zur Konsequenz, dass Menschen in prekären Lebensverhältnissen bei einem Defekt entweder nicht mehr legal zur Uni kommen können oder zwischen Essen und ÖPNV entscheiden müssen. Unserer Verantwortung gegenüber denjenigen, die uns als hochschulpolitische Repräsentant*innen gewählt haben, werden wir mit dem Smartphonezwang daher nicht gerecht.

Des weiteren ist es keine gute Idee, die Fahrtberechtigung an ein entsperrtes Smartphone zu koppeln. Damit hat zum einen das Fahrpersonal sowie Leute, die sich als solches ausgeben, unmittelbaren Zugriff auf hochsensible Daten, sofern diese das Gerät zur Kontrolle in die Hand nehmen. Zum anderen verhindert der Smartphonezwang die unerkannte Nutzung des ÖPNV und ermöglicht es Behörden und privaten Unternehmen, Studis permanent zu tracken, etwa auf dem Weg zu einer politischen Versammlung. Smartphones sind ideale Wanzen – es gibt berechtigte Interessen, warum Studis ohne Taschenspion unterwegs sein möchten. Ihnen die Nutzung ihres bezahlten Tickets durch den Smartphonezwang zu verunmöglichen, ist entweder ein unverhältnismäßiger Eingriff in die persönliche Freiheit, oder eine finanzielle Schlechterstellung gegenüber Menschen, die sich bereitwillig überwachen lassen wollen.

Der ÖPNV ist eine Dienstleistung, die bislang völlig problemlos auch ohne Smartphone und Internetverbindung genutzt werden konnte. Warum sollte das jetzt anders sein, wo doch sogar die Tarifbestimmungen für das Deutschlandticket genau diese Möglichkeit offenhalten?


  1. Siehe Kapitel 1.6.2, Absatz 4, Satz 2: https://www.bvg.de/de/deutschlandticket/tarifbestimmungen ↩︎

  2. https://www.asta.tu-darmstadt.de/de/angebote/deutschland-semesterticket#Chipkarte ↩︎

  3. Geht man von einem günstigen Smartphone (200€) mit dem derzeit günstigsten Prepaid-Vertrag (monatlich 1,58€) sowie einer Nutzungsdauer von drei Jahren aus (danach gibts vom Hersteller im Regelfall keine Sicherheitsupdates mehr und das Gerät ist ein Fall für den Elektroschrott), fallen pro Semester zusätzliche Kosten in Höhe von etwa 43€ an, was addiert mit den 176,40€ aus den Immatrikulationsgebühren 219€ pro Semester entsprechen und damit im Vergleich zum bisherigen Preis eine Preissteigerung von rund 13% wäre. ↩︎

  4. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_N066_63.html ↩︎